III. Ein Leben für Dichtung und Sprache – geistiges Schaffen als Schriftsteller und Erzähler
Wenn man nach eigenem Lebensverständnis und den Gründen zu eigenen Verhaltungsweisen sucht, so landet man gewöhnlich im fernen Land der Kindheit und der Jugendzeit. Man sucht nach den Gründen, die für das Heranwachsen einer eigenen Persönlichkeit ausschlaggebend waren und das eigene Leben in bestimmte Bahnen lenkten. Manches wurde einem bekanntlich von den Vorfahren in die Wiege gelegt, anderes entstand wohl nur langsam, im Laufe der Zeit und aufgrund konkreter eigener Erfahrungen und Erlebnisse, sozialer Umstände, intellektueller Möglichkeiten und wohl auch persönlicher Begabungen. Rückblickend auf meinen abwechslungsreichen Lebenslauf frage auch ich mich, weshalb ich eigentlich so geworden bin, wie ich bin, wo genau die tiefen Wurzeln meines Charakters gelegen haben mögen und welche Einflüsse mich in diese oder jene Richtung getrieben haben. Die Familie und die Natur (also die Berge) mögen das Fundament meines Lebens gewesen sein, aber die geistige Kraft, die Inspiration und die Weitsicht, die es für ein eigenständiges Leben braucht, holte ich in Büchern. Mein Vater war ein vielseitig interessierter Leser und hätte, wäre er nicht gezwungen gewesen, das Malergeschäft seines Grossvaters weiterzuführen, sich wohl der Literatur und dem Schreiben zugewandt. Zuhause hatten wir deshalb sehr viele Bücher, nebst Literatur und Biographien auch Bücher über Kunst, Geschichte und Philosophie; ich durfte sie schon in frühen Jahren lesen. Später würde mir mein Vater stets sein «Feuerwehrgeld» (das war der Sold, den er als Feuerwehrkommandant für seinen sonntäglichen Picketdienst erhielt) schenken, damit ich eigene Bücher kaufen konnte; ich bestellte mir fast immer Bücher von (meist noch unbekannten) Schweizer oder deutschen Dichtern, oft bei einem mit mir sympathisierenden Buchhändler in Deutschland.
So fanden die wildesten Abenteuer während meiner Jugend- und Studienzeit nicht in den verträumten Bergen sondern in meiner Vorstellungswelt, also in meinem Kopf, statt, in einer Welt ohne räumliche Grenzen und ohne geistigen Begrenzungen: es waren Bücher und Gedichte, die mich seit frühester Jugend in den Bann zogen und mir erlaubten, die Ferne zu suchen und in einer fremden Gefühlswelt unbekannten Menschen aus nächster Nähe zu begegnen; das Lesen von Büchern und Gedichten wurde zu spannenden Entdeckungsreisen in fremde Kulturen und menschliche Abgründe, in Höhen und Tiefen, in die Weite und über meinen Horizont hinaus, in eine Welt voller Gefühle und Erlebnisse. Bücher wurden zu meiner Droge, sie machten mich zum Rebellen und lehrten mich den intellektuellen Aufstand. Noch ehe ich Camus und Sartre gelesen hatte, war ich zum Existentialisten geworden. Bücher machten mich oft aber auch zuversichtlich und fröhlich; besonders Gedichte gaben mir den Mut, an mir selbst nicht zu verzweifeln und an das Gute im Menschen zu glauben. Bücher waren mein Leben, es gab – ausser in den Bergen – nichts anderes und nichts Besseres.
Vermutlich standen Märchen am Anfang meiner Lesesucht, und vielleicht lernte ich ja hier, mich zu fürchten vor Grausamkeit, Gewalt und bösen Menschen. Bereits mit acht Jahren begann ich, sogenannte Jugendbücher zu lesen, zunächst (natürlich!) jene von Karl May; meine um vier Jahre ältere Schwester erhielt sie jeweils als erste und übergab sie dann mir – zwanzig dieser Bücher besitze ich immer noch! Mit Karl May konnte man in ferne Länder reisen und dabei viele Abenteuer erleben– ob die Informationen dann auch mit der Wirklichkeit übereinstimmten oder erfunden waren, spielte für mich dabei keine Rolle. Was mich an Karl May aber immer noch fasziniert, war seine Fähigkeit, ganz unterschiedliche Landschaften und Kulturen zu beschreiben, ohne selbst je dort gewesen zu sein. Bei mir würde das Schreiben genau umgekehrt vor sich gehen; nur was ich mit eigenen Augen gesehen und physisch erlebt hatte, konnte ich erzählen und beschreiben. Geschichten erfinden, also Romane schreiben, konnte ich nicht oder habe es jedenfalls nur in früher Jugend (als ich selbst noch wenig Substantielles erlebt hatte) versucht. An Phantasie fehlte es mir allerdings nicht; davon hatte ich reichlich von meiner Mutter vererbt bekommen.
Mit dem Eintritt ins Gymnasium begann meine «literarische Laufbahn»: ab hier überbordete meine Lust am Lesen, ich las frühmorgens, am Tag und vor allem nachts, zuhause oder – beim Warten auf das Erscheinen der Rehe oder den ersten Lauten der Vögel – frühmorgens in Wäldern. Das Lesen von Büchern wurde zu einer ständigen Herausforderung an meine intellektuellen Fähigkeiten; Bücher verführten mich in Welten, die ich in so jungen Jahren eigentlich noch nicht hätte betreten sollen, aber sie schärften meine Sinne, forderten meinen Geist, erhöhten meine poetische Sensibilität und verbesserten gleichzeitig mein Sprachempfinden. Meine erste Spracherfahrung war ein Buch von Adalbert Stifter, das ich (nach einem Beinbruch auf dem Bühlenberg im April 1956) von meinem damaligen Deutschlehrer im Spital geschenkt bekommen hatte. Während den ersten Jahren im Gymnasium las ich Bücher von deutschen, Schweizer und amerikanischen Schriftstellern (Henry Miller inklusive!), danach galt mein Interesse überwiegend französischen Schriftstellern, – Albert Camus vor allem. Im Zentrum meiner literarischen Passion standen allerdings Gedichte (der Suhrkamp-Verlag veröffentlichte damals Übersetzungen der «Poesie» grossartiger Dichter aus aller Welt). Unter diesen Poeten befand sich auch einer aus Schweden, Gunnar Ekelöf; ich liebte seine Gedichte so sehr, dass ich beschloss, Schwedisch zu lernen.
Zunächst würde mich allerdings Albert Camus nach Frankreich locken und mich zum Studium der französischen Literatur anregen. Dies war nur eine logische Folge meiner Entwicklung: so wie Quellen zu Bächen werden und Bäche letztlich in einen Fluss münden, so führten mich die Bücher meiner Schulzeit direkt zum Studium der Literatur.
Mit der Liebe zur Literatur verbunden ist auch das Interesse an Sprache und das Verlangen, meinen eigenen Gedanken Ausdruck zu geben, mich mitzuteilen und Geschichten zu erzählen. So habe ich schon seit dem achten Lebensjahr zu schreiben begonnen, einige Gedichte und viele Briefe an meine Grosseltern. Man hatte mir erlaubt, auf einer alten, riesig grossen Olympia-Schreibmaschine (des lauten Geklappers wegen stand sie auf einer 2cm dicken, dunkelgelben Filzmatte) zu schreiben, und ich nutzte diese Möglichkeit so oft es nur ging. Ich würde diese Gewohnheit ein Leben lang behalten, tausende von langen Liebesbriefen, viele Berichte über meine Reisen und meine Arbeit (sei es für das IKRK oder für das politische Departement der Schweizer Regierung) und schliesslich auch eigene Bücher schreiben. Nachts schrieb ich meine meist dunkeln, nur von Blitzen erhellten Gedanken nieder, reflektierte über d en Sinn des Lebens und die Sinnlosigkeit meines eigenen Daseins.
Während meiner Zeit in der Schule schrieb ich eine Arbeit über den Schweizer Schriftsteller Jürg Federspiel (er hatte in unserem Haus gewohnt) und während meiner Studienzeit verfasste ich Studien über Paul Eluard, Jean-Pierre Richard, André Pieyre de Mandiargues und Jean Racines «Phèdre» (letztere erhielt einen Ehrenpreis der Universität Zürich) und schrieb (bei Prof. Paul de Man) eine Doktorarbeit über den schwedischen Dichter Gunnar Ekelöf; das Buch «Gunnar Ekelöfs Nacht am Horizont» wurde 1974 von der schweizerischen Gesellschaft für skandinavische Studien als Band 2 der Serie «Beiträge zur nordischen Philologie» („Gunnar Ekelöfs Nacht am Horizont und seine Begegnung mit Stéphane Mallarmé„ (250 p.) Basel (Helbing & Lichtenhahn) herausgegeben.
Über Gunnar Ekelöfs Gedichte veröffentlichte die NZZ einen ganzseitigen Artikel. („Einsichten in Leben und Werk Gunnar Ekelöfs„in: Neue Zürcher Zeitung, 21.10.1971)
Schreiben blieb mein Leben lang meine Hauptbeschäftigung. Von früher Jugend an schrieb ich jeden Tag, verfasste Artikel, schrieb lange Briefe oder arbeitete an Berichten, an Vorträgen oder wissenschaftlichen Büchern. Während den ersten Jahren stand dabei die Literatur, danach die Ethnologie und schliesslich die Friedensförderung im Zentrum meiner Arbeit. Beim Schreiben war es mir immer wichtig, möglichst verständlich zu bleiben, nicht zu langweilen und viel Nachdenklichkeit und Poesie zwischen die Zeilen zu legen; der tiefere Sinn sollte im Untergrund der Erzählungen vom Leser selbst entdeckt werden. Dieses Bemühen um Verständlichkeit zeigt sich selbst in meinen ethnographisch relevanten Büchern, wo ich versucht habe, auch dem nicht akademisch geschulten Leser den Zugang zu den Erkenntnissen meiner ethnographischen Forschungen zu erleichtern. Weil Ethnographie ja Völkerkunde ist und zu grösserem Menschenverständnis führen sollte, verstand ich meine sehr wirklichkeitsnahe Monographie über ein afrikanisches Volk auch als einen Beitrag im Kampf gegen rassistisch bedingte Vorurteile und zum Frieden zwischen den Kulturen. Für mich sollten meine Forschungen auch eine positive gesellschaftliche Wirkung haben.
Eine Übersicht über meine verschiedenen Schriften mag Zeugnis ablegen von der Vielfalt meiner verschiedenen humanitären, ethnologischen, literarischen und weiterer persönlichen Interessen während meiner aktiven Lebenszeit:
Abgesehen von meiner achtbändigen ethnographischen Forschungsarbeit «The Anyuak: Living on Earth in the Sky» (2592 Seiten, 1200 Bildern, Karte und CD), einem Wörterbuch («Anyuak, a Luo-language of the Southern Sudan» 746p., 1990) und der 2017 in Amerika erschienenen Forschungs-Autobriographie «Why Did You Come If You Leave Again?» (799 Seiten mit Fotos) publizierte ich selbst nicht. Vielleicht hatte mich die über fünfzehn Jahre dauernde Arbeit an der langjährigen Veröffentlichung meiner Forschungsarbeit im Südsudan geistig und physisch erschöpft, vielleicht fehlte mir einfach die Lust, Verlage vom Wert meiner Arbeit persönlich überzeugen zu müssen. So bleiben sowohl der in den 1990-Jahren geschriebene, leicht philosophisch angehauchte Erzählband «Der Schatten meiner Fusssohlen» (26 Texte auf 229 Seiten )
Inhaltsverzeichnis «Schatten meiner Fusssohlen»:
wie auch mein letztes Buch «Jeder Schritt eim Abenteuer»
(drei Bände mit Erzählungen aus Afrika, Zentralasien und Afghanistan) unveröffentlicht, aber die (noch nicht korrigierten!) Erzählungen können hier gelesen werden (Achtung! Das Copyright bleibt bei mir und Prof. Beckry Abdel Magid); einige dieser Erzählungen habe ich vorgelesen.
Zu hören auf …
«Jeder Schritt ein Abenteuer: Begegnungen mit Menschen»
Inhaltsverzeichnis und Texte des unveröffentlichten Buches «Jeder Schritt ein Abenteuer»