VIII. Fussspuren in die Zukunft – ein Leben auf der Erde nach dem Tod
Die Art und Weise, wie die Anyuak, das Volk, bei welchem ich viele Jahre gelebt habe, ihren Nachlass regeln, habe ich in einer Erzählung beschrieben.
Auch ich habe mich bemüht, meinen Nachlass noch zu Lebzeiten zu regeln. Ich habe mein ganzes aktives Leben in Ländern verbracht, wo Krieg oder sonst grosse Gefahren herrschten, und so habe ich mehrmals und zu verschiedenen Zeitpunkten ein Testament geschrieben und dabei immer an jene Personen gedacht, die mir am nächsten standen, mich geliebt oder mir in anderer Weise beigestanden waren. Da ich keine direkten Nachkommen habe, war ich frei in der Wahl meiner Erben. Ich war zeitlebens nie vermögend, und deshalb gab es materiell nicht viel zu vererben; das materiell nicht fassbare Erbe war auch nicht unbedingt ein Objekt der Begierde; die Masse an Büchern und Objekten wirkte im Gegenteil eher abschreckend oder gar furchterregend. Was sollte also geschehen mit dieser Hinterlassenschaft?
Das gut 150-jährige Haus meiner Vorfahren hatte ich während meines ganzen Lebens selbst umgebaut, modern eingerichtet, gepflegt und mit Bildern und Gegenständen, Skulpturen oder Teppichen in eine Art von kultureller Erlebniswelt verwandelt – in seiner Art wurde es zu einem sehr speziellen, in der Landschaft Davos wohl einzigartigen Haus. Je älter ich wurde, umso öfters wurde ich gefragt, was nun mit all meiner Arbeit, also mit dem Haus, den Büchern, den Fotoaufnahmen und den ethnographisch wertvollen Gegenständen geschehen solle. Mit meinem Entschluss, meine Forschungsdokumente und meine ethnographische Sammlung dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich zu überlassen, wurde zwar eine Lösung für den wissenschaftlichen Aspekt meiner Hinterlassenschaft gefunden, aber die Frage nach dem Erhalt des Hauses blieb immer noch offen.
Als mein (als ehemaliger NZZ-Redaktor für Afrika bekannte) Freund Oswald Iten, die Idee einer Stiftung einbrachte und vorschlug, meine jetzige Wohnung Künstlern, Schriftstellern oder Forschern für eine Weile zur Verfügung zu stellen, damit sie hier in Ruhe arbeiten und in den Bergen die für ihre Arbeit nötige Kraft und Inspiration finden könnten, war ich begeistert; der Gedanke, meinem Leben meiner Arbeit auch nach meinem Tod noch einen praktischen Sinn geben und für andere, ähnlich gesinnte oder interessierte Menschen nützlich sein zu können, war schon immer mein Traum von einem sinnvollen «Leben nach dem Tod» gewesen. Ich wollte etwas hinterlassen, das wie ein offenes Tor in die Zukunft führen würde, ich wollte das leere Tongefäss sein, welches später von anderen mit dem Sinn ihrer eigenen Arbeit gefüllt werden würde.
Die Idee einer Stiftung, welche auch das Haus vor dem Zerfall und dem Abriss retten würde, stand zunächst im leeren Raum. Die Gründung einer Stiftung ist nur möglich, wenn mindestens 50’000 Franken als Startkapital vorhanden sind, und weil dieses Geld nicht vorhanden war, dachten meine Freunde an ein sogenanntes Crowdfunding. Um sicherzustellen, dass eine Stiftung auch aktiv werden könnte, schien es nötig, vorgängig Kontakte zu Institutionen, Universitäten oder anderen interessierten Kreisen zu knüpfen; die Stiftung allein hätte ja keinen direkten Zugang zu Forschern, Künstlern und kulturellen Organisationen und könnte dem Haus deshalb auch nicht den gewünschten praktischen Sinn geben. Es dauerte eine ganze Weile, bis solche Kontakte entstanden, aber unterdessen zeigen sowohl die Universität Zürich wie auch die Gemeinde Davos Interesse an einem solchen kulturell und wissenschaftlich ausgerichteten Legat. Aus meiner Sicht wäre es ideal, wenn das Haus in den Besitz der Gemeinde Davos käme, mit der Universität Zürich als akademischen Partner; in Davos befinden sich verschiedene bedeutende wissenschaftliche Institute (in den Gebieten Allergie- und Asthmaforschung, der Osteosynthese, der gastroenterologischen Chirurgie, der Schnee- und Lawinenforschung, der Strahlungs- und Klimaforschung sowie der Risikoforschung), mehrere kulturelle Vereine (Kunstgesellschaft, Kulturallianz, Kulturplatz), mehrere Schulen, zwei Gymnasien und sechs Museen; die vielen kulturellen Veranstaltungen (vor allem im Bereich der Musik) und die zahlreichen internationalen Kongresse bringen sowohl Künstler wie Wissenschaftler aus der ganzen Welt ins Landwassertal – auch diese könnten für eine bestimmte Zeit im Haus gastieren.
Am Projekt «Residence for artists and scholars» könnten sich auch andere Universitäten beteiligen, so zum Beispiel die Universität in Winona in den USA oder die Universität von Juba im Südsudan.
Falls das geplante Crowdfunding dafür genügend Mittel aufbringt, sollten auch Entwicklungsprojekte im kulturellen und schulischen Bereich im Südsudan ins Auge gefasst werden.
Weitere Informationen finden sich im «Concept Paper», welches von Prof. Beckry Abdel Magid (Winona State University) geschrieben wurde: