II. EIN LEBEN ALS ABENTEURER UND REISENDER
In der Erinnerung erscheint die Jugend meist als eine längst verflossene Zeit, aber gleichzeitig erinnert man sich an die Jugend, als wäre sie erst gestern vergangen. Manche Leute beschreiben ihre Jugend als eine wunderschöne, sorglose Zeit, während andere nichts finden können, was einer Erinnerung wert wäre und deshalb froh sind, dass sie längst vorbei und vergessen ist. Ich selbst hänge meine Jugendzeit gerne an Erinnerungen auf, die weniger mit mir selbst als mit Davos als Ort der unbeschränkten Möglichkeiten zu tun haben.
Meine ganze Jugend, also bis zum Ende der Schulzeit, verbrachte ich in den Bergen von Davos. Schon als Kind verbrachte ich meine Freizeit im Freien, in den Wäldern und Tälern unserer Landschaft, während der Woche mit Schulkameraden und während den Wochenenden mit meiner Schwester, meinen Eltern und Nachbarn. In den Wäldern bauten wir Buben Hütten hoch in den Tannenbäumen, in den Tälern suchten wir im Frühling Anemonen, blaue Enziane oder auch gelbe, langstielige Schlüsselblumen, im Sommer Alpenrosen und im Herbst Silberdisteln und Heidelbeeren. Die roten, noch nicht ganz geöffneten Alpenrosen schnürten wir zusammen und schickten sie per Express zu Verwandten ins Unterland;
Blumen
nur der alte Herr Gensetter (er brachte uns an Weihnachten jeweils einen 2.20m grossen Christbaum) verkaufte seine Alpenrosenbündel an abreisende Sonntagsgäste am Bahnhof. Bei gutem Wetter war es für uns undenkbar, zuhause zu bleiben, und mein Vater hatte wenig Lust, «die Promenade zu blochen (dt. bohnern)», wie er das gutbürgerliche sonntägliche Spazieren auf der Promenade nannte.
So wurden die Berge, nicht das Tal, von Kindheit an zu meiner physischen und auch geistigen Heimat; dort fühlte ich mich zuhause, und dort holte ich mir wohl auch die Kraft, die ich im späteren Leben im Übermass benötigen würde. In den Bergen wuchs ich auf, dort lernte ich, mutig, furchtlos, zuversichtlich und doch auch empfindsam und vorsichtig zu sein, Die Berge waren das Mass aller Dinge, sie zeigten mir, dass ich meine eigenen Möglichkeiten nicht überschätzen, respektvoll und bescheiden sein sollte. Das Gefühl von Solidarität mit anderen Menschen war mir vielleicht angeboren, aber die Berge waren der Ort, wo man sich mit Wegbegleitern durch ein Seil physisch verbunden fühlte und das eigene Schicksal mit ihnen teilte.
Unser Haus lag (und liegt immer noch) im Zentrum von Davos, gleich weit und nur wenige Minuten vom Bahnhof, der Kirche, der Primar- und der Mittelschule, der Schatzalpbahn, der Eisbahn, vom Bolgen-Skilift und (heute) der Langlaufloipe und der Brämabüelbahn (später in Jakobshornbahn umgetauft) entfernt.
Während der Primarschulzeit verbrachte ich fast meine ganze Freizeit im Winter auf der Eisbahn, aber auch das Schlitteln auf der eisigen Schlittelbahn von der Schatzalp ins Tal gehörte damals zu meinen aufregendsten Erlebnissen.
Zu jener Zeit war Davos das wichtigste Eislaufzentrum der Welt, mit einer riesigen Natureisbahn und einem offenen Hockeystadium: hier fanden nicht nur Hockeyspiele (beim Hockey Club Davos spielten nur Einheimische) sondern auch Europa- oder Weltmeister-schaften sowohl im Eiskunstlauf wie auch im Schnelllaufen statt: da Davos (zusammen mit Alma Ata in Kasachstan) das schnellste Natureis der Welt besass, kamen Eisschnellläufer aus aller Welt hier zum Training; tägliches Spektakel war garantiert. Weil es zu jener Zeit in Davos noch kein Fernsehen und auch sonst nur wenige Veranstaltungen gab, wurden diese Wettkämpfe von fast allen Einheimischen besucht; die Erfolge des HCD stärkten das Selbstbewusstsein der Davoser, und die meisten Buben träumten davon, auch einmal Hockeyspieler zu werden. Ich selbst spielte damals natürlich auch Eishockey, aber nach dem Wechsel in die Mittelschule zog es mich in den Schnee und damit in die Berge;
mit der Sportgruppe der Schule, mit dem Alpenclub, mit Freunden (wie Ottto Wild und Hans Wehrli) und mit weltbekannten Bergsteigern wie den Gebrüdern Reiss bestieg ich mit Seehundfellen auf 2.20m langen Eschenholzskis die meisten der heimischen Skiberge und kam dabei in den Genuss von herrlichen Telemark-Abfahrten im Pulverschnee, im Sulz oder auf Firn, – erlebte allerdings manchmal auch furchterregende Abenteuer in steilen Gletscherwänden (Grialetsch) oder in Lawinen (Bärental mit Cantate Issler und Fanez mit Otto Wild). Bei jedem Vollmond zog es mich und meine Freunde in der Nacht auf die hell erleuchteten Gipfel, – manchmal während fünf aufeinanderfolgenden Nächten! Es waren wunderbare und immer sehr beglückende Tage im Schnee.
Die Berge, die im Winter zu Skitouren lockten, erschienen uns im Sommer zu harmlos und zu langweilig, um bestiegen zu werden – mit Ausnahmen wie der weit entfernte Monte Disgrazia oder der steile Aufstieg zum Piz Quattervals. Mit vierzehn Jahren wurde ich Mitglied des Schweizer Alpenclubs (SAC) und sogleich Seilgefährte von vielen namhaften Alpinisten, unter ihnen der von Expeditionen und unzähligen Erstbesteigungen in den Alpen bekannte, damals am Lawinenforschungsinstitut Davos tätige Genfer André Roch. Mit diesen viel älteren und erfahrenen Seilgefährten bestieg ich schon in jungen Jahren die verschiedenen Kletterberge in der Gegend, wobei ich die waghalsigsten und abenteuerlichsten Bergtouren doch meistens mit meinem Schulfreund Otto Wild unternahm.
André Roch verfasste auch Bergbücher (ich übersetzte seinen Bildband «La Haute Route» vom Französischen ins Deutsche) und drehte Bergfilme. Als er mich bat, mit ihm nach Südfrankreich zu fahren, damit er in den Calanques von Marseille einen Kletterfilm über mich und den berühmten Extremkletterer Georges Livanos drehen könne, ahnte ich nicht, dass Andrés Filmprojekt berufliche Folgen für mein ganzes späteres berufliche Leben haben würde. Nach Abschluss des (abgebrochenen) Filmprojekts blieb ich nämlich in Südfrankreich, kletterte in Livanos’ exklusiver kleiner Gruppe der «Extremsti» und begann ein zweijähriges Studium der französischen Sprache und Literatur in Aix-en-Provence.
Dank der Einladung von Freunden meiner Eltern durfte ich in Verden an der Aller in Deutschland reiten lernen; damit begann eine andere, lebenslange Passion: die Liebe zu Pferden. Ich ritt in Davos (mit Reitlehrer Hans Lenz), in Maienfeld (mit Bibi Torriani und seiner Familie), im Englischen Garten in München und später auch auf roter Erde in den Pinienwäldern des Berges Sainte-Victoire bei Aix-en-Provence und auf den weissen Pferden der Camargue in Frankreich).
Auch André Roch hatte nebst den Bergen noch eine weitere Passion: das Segeln. In der Werkstatt meines Vaters fabrizierte André kleinere und grössere Segelboote (vom Typ Mot und Katamaran), welche er dann auf dem Davosersee ausprobierte. Mit seinem Sohn, meinem Schulfreund Jean-François durfte ich mitsegeln; unvergessen bleibt mir dabei das Segeln in dichtem Schneefall, auf dem fast windstillen, lautlosen Davosersee, wie auch eine heftige Windböe, die unseren Katamaran in Sekunden auf den Kopf stellte, mit dem Mast senkrecht in der Tiefe und uns Jünglingen erschreckt im eiskalten Wasser. Im Gegensatz zu heute sah man damals auf dem Davosersee keine Segelboote.
Mit der Rekrutenschule (in der Artillerie) begann ein neues Kapitel in meinem Leben, aber die Aktivitäten der Jugend schwappten noch für eine Weile in die Zeit der Studien über. Bald würden Reisen und Expeditionen in den Vordergrund rücken, aber die in der Jugend gesammelten Erfahrungen würden es mir möglich machen, auch neue Abenteuer und Gefahren zu überleben, neue Einsichten zu gewinnen und mich dabei selbst zu entdecken.
Die erste und einzig wirklich abenteuerliche Expedition in Europa unternahm ich im Sarek Gebiet von Lappland: mit zwei meiner besten Schulfreunde (Koala Spanien Lumpur /Hans Wehrli) und Hanspeter Dänzer) wollte ich die damals noch unbegangene, wilde rechte Seite des Rapatals durchqueren, teils, weil es dort Bären gab und teils, weil der grosse deutsche Erzähler Alfred Andersch vergebens versucht hatte, hier durchzukommen und bei diesem Versuch fast ums Leben gekommen war. Auch uns gelang dieses allzu kühne Unterfangen nicht, aber immerhin kamen wir mit dem Schrecken davon: bei einer Überquerung des reissenden Rapa-Flusses wurde ich von der gewaltigen Strömung fortgerissen und war eigentlich schon ertrunken, als die Lawinenschnur, mit welcher mich meine Freunde gesichert hatten, mich doch noch zurück bis ans rettende Ufer zog.
(Mein Reisebericht mit Bildern von Hanspeter Dänzer erinnert noch an diese Expedition in die Wildnis von Lappland).
Während meiner Arbeit für das IKRK und meiner Lehrtätigkeit an Universitäten gab es wenig Gelegenheit zu längeren Ausflügen zu Fuss. Meine Kollegen beim IKRK verspürten wenig Lust, mich auf meinen Entdeckungsfahrten zu begleiten, weit entfernte Kulturstätten zu besuchen und sich in schwer zugängliche und unwirtliche Gegenden vorzuwagen. So unternahm ich solche Reisen meist mutterseelenallein
Dies war auch im Norden Indiens der Fall, wo ich mich – nach dem Besuch des goldenen Tempels der Sikh in Amritsar – entschloss, mit dem Bus nach Dharamsala (der Residenz des Dalai Lama und vielen Flüchtlingen aus dem Tibet) zu reisen, um auf die über der Stadt liegenden Berge des Dhauladhar, der ersten hohen Kette des Himalaya, zu steigen. In grosser Höhe verbrachte ich drei unvergessliche Tage (und bitterkalte Nächte in einer Steinhütte) in der Gesellschaft von kleinwüchsigen Hirten und ihren Bergziegen.
Auch auf der Insel Bali in Indonesien suchte ich das Abenteuer. Als ich nach einigen kulturell sehr faszinierenden Tagen in Denpasar von der Existenz von drei Meter grossen und bis achtzig kg schweren, menschenfressenden Rieseneidechsen erfuhr, suchte ich nach Möglichkeiten, nach Flores zu fliegen; Flores ist eine von nur fünf kleinen Inseln, wo diese lebensgefährlichen Echsen noch leben. Damals war die Insel für Touristen noch unerschlossen, es gab keinen Flugplatz und nur eine winzig kleine Herberge. Ich war der einzige Tourist. Mein Wunsch, die berüchtigten Komodovarane mit eigenen Augen sehen zu können, liess sich nicht erfüllen, denn das Boot, welches mich in die Nähe der Echsen hätte bringen können, fuhr nur einmal im Monat.
Dennoch war der Aufenthalt inMaumare, der Hauptstadt der Insel, lohnend. Der Besuch des riesigen lebhaften Marktes wurde zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ins farbige Reich exotischer Früchte, bisher nie gesehener Gemüsearten und feuriger Gewürze, am Boden ausgebreitet neben handgewobenen Textilien, gefärbten Hanfseilen und geschmiedeten Werkzeugen. Mit Flores eng verbunden bleibt auch die Erinnerung an eine äusserst holprige Fahrt in einem Jeep (vorbei an einem Dorf, das sich auf einer Geröllhalde befand und wohl deshalb «Rock and Roll» hiess), die mich in die Nähe eines Vulkans brachte. Der lange Aufstieg auf den Vulkan lohnte sich, denn aus der Höhe erhielt man den Einblick in drei Krater, die allesamt mit Wasser gefüllt waren: einer dieser drei Seen war safrangelb, einer türkisfarbig und der dritte rostrot!
Es war ein atemberaubender Anblick. Ich blieb nicht lange genug um bezeugen zu können, dass die Seen nach einer gewissen Zeit ihre Farbe verändern und offenbar grün, braun oder gar schwarz werden… Hoch oben auf dem Vulkan erschien plötzlich ein nur mit einem Lendenschutz bekleideter Mann, der einen riesig grossen Schiessbogen und einen langen Pfeil in der Hand hielt. Das Schauspiel der Kulimutu Vulkanseen war grandios und für die Sinne betörend, aber die unerklärliche Erscheinung des Mannes in der toten Einöde auf der Höhe des Vulkans gab dem Spektakel etwas Mystisches und gleichzeitig etwas Surreales. Wir setzten uns auf den Boden, schauten verträumt auf die farbigen Seen.
Wer war der Mann, und weshalb schenkte er mir seinen Pfeil und Bogen zum Abschied? War es, weil wir nicht miteinander reden und uns nicht sonst auf irgendeine Weise austauschen konnten? Fragen über Fragen… Aber jener grosse Pfeil und Bogen hängt seit jenem Besuch in meinem Wohnzimmer in Davos und gibt so meiner Erinnerung seinen mir immer noch unerklärlichen Sinn.
Als «Expeditionen» kann ich meine zahllosen, tagelangen Gewaltmärsche durch die Wildnis während der achtjährigen Forschungszeit bei den Anyuak im Südsudan eigentlich nicht bezeichnen, denn diese waren ja keine freiwilligen Entdeckungsreisen, sondern war die berufliche Voraussetzung zu einer erfolgreichen Feldarbeit.
Dennoch waren all diese Märsche mutige Expeditionen ins Unbekannte, in Gebiete ohne Unterkünfte und Verpflegungsmöglichkeiten, ohne Schutz vor Wetter und wilden Tieren und ohne Hoffnung auf Hilfe bei Unfällen oder Erschöpfung. Selbst Einheimische würden solche Strapazen nicht freiwillig auf sich nehmen.
Die (insgesamt weit über 1000km langen) Märsche wurden im Buch «Why Did You Come If You Leaeve Again?» ausführlich beschrieben, insbesondere die abenteuerlichen Märsche von Pibor nach Otalo, vn Otalo nach Akobo, vom Boma Plateau hinunter an den Akobo-Fluss bis nach Otalo, oder auch der Gewaltmarsch während der Regenzeit von Pochalla nach Pibor und weiter bis nach Bor)
REISEN IN DIE FREMDE
Mein Grossvater ging zu Fuss von Kuden im Norden von Schleswig-Holstein (Deutschland) bis nach Konstantinopel und Jerusalem (an Tuberkulose erkrankt, ging er nach Davos und wurde dort sesshaft). Das waren Zeiten, in welchen man seinen Horizont nur zu Fuss oder mit dem Pferd erweitern konnte. Zu meiner Jugendzeit konnte man sich immerhin schon im Zug fortbewegen, danach reiste man auch im Auto (wir hatten keines) und schliesslich flog man mit Flugzeugen sogar durch die Luft.
Wenn man an Erlebnisse in entfernte Gegenden der Welt zurückdenkt, vergisst man leicht, wie mühsam und gefährlich es oft war, ans Ziel zu gelangen, ob das nun zu Fuss, im Auto oder mit dem Flugzeug war. An Unfälle, die sich glücklicherweise nicht ereignet hatten, kann man sich nicht erinnern. Das endlos lange, oft tagelange Warten auf Reisebewilligungen, auf Busse, Flugzeuge, Lastwagen oder auch Lastenträger ist im Nachhinein natürlich keiner Rede mehr wert, – obwohl das ja oft zu den anstrengendsten und nervlich aufreibendsten Teilen einer Reise gehörte.
Berufsbedingt war ich sehr oft im Flugzeug unterwegs, mit Linienflügen aus der Schweiz nach Afrika (in den Kongo, in den Sudan, nach Kenya, Südafrika, Botswana, Ghana) oder nach Asien (Bangladesh, Indien, Nepal, Thailand, Indonesien), und mit kleinen, zweimotorigen Flugzeugen (vor allem im Südsudan).
Im Flugzeug fühlt man sich – weil man ja kein Pilot ist – völlig machtlos. Ich bin zwar einmal (in Tajikistan) in einem Luftloch 100m in die Tiefe gestürzt und bin (auch in Tasjikistan) im Zickzack zwischen Blitzen und durch schwarze Wolken hin und her geflogen, bin im Krieg öfters unter Beschuss geraten und wurde bei der unsicheren Landung auf holprigen Grasfeldern oft heftig durchgeschüttelt, aber abgestürzt bin ich glücklicherweise nie. Sorgen und manchmal sogar Angst machten mir in Südsudan die vielen Kühe auf der Graspiste, welche eine Landung verunmöglichten, oder in Zentralasien die rostigen Flugzeuge, in welche andere Passagiere entweder gar nicht ein- oder dann gleich wieder aussteigen wollten, oder auch die mit Soldaten völlig überfüllten und mit Kerosine-Fässern beladenen Flugzeuge während des Bürgerkriegs im Südsudan; oft waren die Flugzeuge viel zu schwer, um abheben zu können und zerschellten dann in Wäldern oder an Felsen. Nur im Nachhinein lustig ist die Erinnerung an eine junge Frau auf dem Sitz neben mir, die – auf einem regulären Linienflug – aus lauter Angst vor einem Absturz sich nur auf meinen Knien in Sicherheit wähnte und sich an mir während einer halben Stunde panisch festkrallte, als wäre ich ihr Rettungsring.
Meine Reisen in Europa beschränkten sich auf Zugreisen, zuerst nach Norddeutschland (als Kind an die Nordsee), nach England (als Mittelschüler mit meinem Freund Marco Torriani), in den Norden nach Schweden und Norwegen und später auch nach Paris.
Bei meinen vielen Fahrten im Auto hatte ich oft sehr grosses Glück. Einen dieser Zwischenfälle habe ich in meiner Erzählung aus Zentralasien «Jeder Schritt ein Abenteuer» beschrieben:
Unter den unzähligen, manchmal auch amüsanten Geschichten, die ich von unseren abenteuerlichen Fahrten durch unwegsames Gelände in Erinnerung behalte, sind die beiden, nach Kuhmist stinkenden kleinen Frauen vom Stamm der Murle, die schwere, bis an den Rand mit Milch gefüllte Töpfe auf dem Kopf trugen; um ihnen den beschwerlichen langen Weg ins nächste Dorf um zwei Stunden zu verkürzen, hatten wir sie eingeladen, in unseren Landcruiser zu steigen und mitzukommen; aber schon nach wenigen Minuten baten sie schreiend um die Erlaubnis, wieder aussteigen zu dürfen: die Milch war nämlich bei jedem Schlagloch mit Schwung aus den Töpfen und über ihren Körper geschwappt.
Allzu zahlreich sind die Autofahrten, als dass sie alle in Erinnerung bleiben könnten, aber nachfolgende Reisen bleiben – aus ganz verschiedenen Gründen – bestimmt noch lange in meinem Gedächtnis haften:
- die wunderschönen Ausflüge als Student in der Provence
die Reisen im Regenwald des Kongos Kinshas (während meiner Tätigkeit als Literaturprofessor 1969-71), so die Reise von Kisangani ostwärts nach Burundi, Tanzania (mit einem Besuch bei meinem Jugendfreund Hanspeter Dänzer in Tanga), Kenya und Uganda. (1970),
und die lange Reise von Kisangani (Kongo) nach Norden durch den Kongo, Zentralafrika, Tschad, Kamerun, Nigeria, Niger und Algerien (von dort
mit dem Schiff nach Marseille) in Begleitung meines besten Schweizer Freundes Andreas Auer.
- die Fahrt in Bangladesh von Chittagong nach Cox Bazar und jene an die Grenze von Bangladesh mit Burma in die Chittagong Hilltracks (mit einem Besuch beim Volk der Chakma).
- die Reise mit Andreas Auer und Beby Ramanisa.ins Fischerdorf Malvan (nahe Goa) am indischen Ozean.
- die vielen Reisen kreuz und quer durch Afghanistan und die fünf Länder Zentralasiens, im Besonderen die lange Fahrt von Dushanbe in Tajikistan durch den Pamir nach Khorog und von dort nach Osh und Bishkek in Kirgisien.
- die Reisen in Amerika (mit Andreas und Beby Auer) in Kalifornien und (mit meinem Freund Beckry Abdel Magid am Mississipi) in Winona (Minnesota).
- die vielen Fahrten in Afrika während meiner Forschungszeit im Sudan und im Südsudan, und ganz besonders die unvergessliche, dreiwöchige Expedition im Landrover von Davos in den Südsudan, (durch Ägypten und die Wüste bis nach Khartoum in Begleitung meines Vaters Paul Perner).
- wegen ihrer Gefährlichkeit bleibt mir auch die Reise im IKRK-Landcruiser von Dolisie nan die Grenze mit Gabun im Congo-Brazzaville (mit der Ärztin Brigitte Braendli) unvergesslich,
so wie auch
- die vielen Fahrten von Nairobi bis nach Lokichokio und von Lokichokio bis an den Lake Turkana.
Mein langes Leben als «todesmutiger Autofahrer» habe ich im Jahre 2021 in einem Brief an das Strassenverkehrsamt Graubünden, dem ich – wegen meiner abnehmenden Sehkraft –meinen Fahrausweis freiwillig zurückschickte, kurz zusammengefasst; beim Strassenverkehrsamt fühlte man sich von diesem ausführlichen Schreiben wohl etwas überrumpelt, bedankte sich aber postwendend und sehr freundlich.