VII. Ein Leben als Handwerker und Gestalter von Lebensräumen

Häuser, Wohnungen, Gärten

Mein Lebenslauf verlief in intellektuellen und akademischen Bahnen und lässt vielleicht nicht vermuten, dass ich eigentlich gar kein geborener Intellektueller, sondern handwerklich begabt und sehr praktisch veranlagt war. «La poésie doit avoir pour but la vérité pratique, sagte der französische Dichter Lautréamont, « die Poesie muss die praktische Wahrheit zum Ziel haben». Ich war in einer bescheidenen Handwerkerfamilie in den Bergen geboren und wuchs in einer mit Händen greifbaren Umgebung auf, ohne Ansprüche an ein bequemes Leben. Vielleicht war dies der Grund, dass ich mich selbst nicht überschätzt hatte, nie überheblich wurde, immer die Nähe von gewöhnlichen Menschen suchte, und ihre tägliche Arbeit bewunderte.

Auch wenn mich die Liebe zur Literatur in fremde Sphären führte, blieb ich mein Leben lang ein praktisch gesinnter Mensch, fleissig aber ohne Ambitionen; ich war zwar ein unruhiger Geist, der immer das Weite, das Tiefe, das Unbekannte und das Ergreifende «mit der Seele» suchte, aber ich war nie zufrieden mit dem Erreichten und hätte nicht gewusst, auf was ich denn eigentlich hätte stolz sein sollen. Manchmal denke ich, dass es mir an Selbstbewusstsein gefehlt hat und der Fähigkeit, mit meiner Arbeit zufrieden zu sein.

Wirklich zufrieden sein konnte ich nur, wenn ich das Resultat meiner Arbeit mit Händen greifen und sehen konnte. Dies war vor allem beim Bau von Hütten (während der Primarschulzeit und viel später im Südsudan) oder bei der Innengestaltung von Wohnungen und Häusern (in Davos, in Genf bei Andreas Auer), beim Einrichten von Delegationen (in den Nuba Bergen, in Yirol, Ler und Pochalla im Südsudan und in Dolisie im Kongo-Brazzaville) der Fall, oder aber im Bereich der Gartenarbeit, wo auch immer ich wohnte und wo es Platz für einen Garten gab.

Die grösste Arbeit verrichtete ich im Haus meiner Vorfahren in Davos. Der deutsche Archäologe und Fotograf Klaus Powroznik hat über das Haus eine 3D-Dokumentation erstellt (s. https://www.musethno.uzh.ch/static/perner/, aber die Dokumentation, so detailliert sie auch ist, zeigt nur den heutigen, modernen Zustand aber nicht die Arbeit, die ich im Laufe der Jahre meist ohne jede Hilfe verrichtet hatte. Die Dokumentation aber lässt erahnen, was für mich wichtig war: eine Atmosphäre zu schaffen, wo die verschiedenen Elemente nicht als Einzelteile sichtbar werden und im Mittelpunkt stehen, sondern sich durch ein Zusammenspiel in einen Gesamteindruck zusammenfügen.

Farben (jeder Raum hat eine andere Farbe!), Teppiche und unterschiedliche Materialien (Holz, Bamboo, Gras, verschiedenfarbige Tapeten) sind tragende Elemente dieser Einrichtungen; sie führen den Besucher in immer wieder neue, anders gestaltete Räume, wobei viele grosse Spiegel ein Gefühl der Weite geben und die Räume vergrössern.

Die Inneneinrichtung besteht aus Teppichen (meist Kilims aus Afghanistan) und Textilien, zum Bersten angefüllten Bücherregalen, aus Stühlen verschiedener Formen, aus Holz- oder Eisenskulpturen, aus Puppen, Öllampen, Speeren und Halsketten und unzähligen anderen Objekten von ethnographischer Bedeutung, aus gemalten Bildern und Photographien. Ziel meiner Arbeit war es, die ausgestellten Objekt aus dem Fokus der Gäste zu nehmen und in den Hintergrund zu stellen, die Räume zu öffnen. Die Besucher sollen sich nicht eingeengt fühlen, sondern in Ruhe geniessen können. Das Kaminfeuer und nicht allzu aufdringliche und laute Musik im Hintergrund (zum Beispiel das Spiel des tunesischen Musikers Anouar Brahim) sind weitere Elemente, die den Gästen ein angenehmes Gefühl der Entspannung und des Wohlbefindens vermitteln sollen.

Im Haus befinden sich zwar auch verschiedene Musikinstrumente (wie Nilotische Gitarren, Tamtam, Trommeln, Sanza usw.), aber selbst liebe ich zwar Musik aller Art (Jodel inklusive!), bin aber – ausser beim Zuhören – völlig unmusikalisch. So habe ich mich auch wenig mit Musik befasst, ausser während meiner Studienzeit (ich machte für Radio Beromünster eine dreiviertelstündige Sendung mit schwedischen Chansons) und während meiner Feldarbeit im Südsudan (Aufnahmen finden sich in einer CD in der Monographie über die Anyuak). Musik war stets ein äusserst wichtiger Teil meines Lebens, auch als Besucher von Konzerten; nur während meiner ethnographischen Forschungen hörte ich keine Musik – jene von Trommeltänzen und gelegentlichem Gitarrenspiel ausgenommen.

Eine Übersicht (ohne die dazugehörenden Bilder) über die Geschichte des Hauses und der sich im Haus befindlichen Objekte kann hier nachgelesen werden auf

Gegenstände von Wert besitze ich kaum; einige Bilder von afrikanischen Malern und einige von einem ugandischen Künstler aus Alteisen geschaffenen Statuen sind möglicherweise für Kunstsammler interessant, aber praktisch alle anderen Objekte sind nur von ethnographischer Bedeutung und beeindrucken lediglich durch ihre schlichte Schönheit und ihre sinnliche Ausstrahlung. So zeugt meine Wohnung in Davos nicht nur von meinen eigenen Visionen, sondern vor allem auch von der schöpferischen Kraft der Handwerker aus fremden Kulturen.

Räume, die gewöhnlich leer stehen und nicht zum Verweilen einladen, also das Treppenhaus oder Korridore, füllte ich mit über hundert, meist grossformatigen Fotografien, die den aufmerksamen Besucher

– Stufe um Stufe durchs Treppenhaus – in den Sudan und den Kongo, nach Burundi, Bangladesch, Indien, Vietnam, Afghanistan, Tajikistan, Kyrgistan, Uzbekistan oder auch nach Turkmnenistan führen.

Mein Grossvater war ein passionierter Fotograf und erfand sogar eine Art von «Brillen», durch welche man Fotografien dreidimensional sehen konnte. Ich selbst begann mit Fotografien erst zur Zeit meiner Forschungen im Südsudan, und dies auch nur, weil die Dokumentation des Lebens zu meiner Arbeit gehörte. In Bangladesch, Indien, Vietnam und während meiner Reisen in Asien oder in Afrika habe ich zwar auch fotografiert, aber diese Aufnahmen waren nicht viel mehr als Souvenirs und also nur von persönlicher Bedeutung. Obwohl diese Fotografien meist mit mittelmässig guten Fotoapparaten gemacht wurden und deshalb nicht von guter Qualität sind, möchte ich manche dieser Aufnahmen nicht mehr missen; sie erinnern mich nicht nur an Landschaften, sondern vor allem auch an die Menschen, welchen ich während dieser Zeit begegnet bin.

Während meiner Zeit als Delegierter des IKRKs in Afrika war es verboten, mit einem Fotoapparat herumzulaufen, und ich hielt mich (im Gegensatz zu anderen Delegierten) an diese wichtige Vorschrift. Das Leiden anderer Menschen, ob nun verwundet, gefangen oder hungernd, zu dokumentieren, war mir ohnehin grundsätzlich zuwider – ich empfand dies als schamlos und als fehlender Respekt gerade jenen Personen gegenüber, die hilflos ihrem Leiden ausgesetzt sind. Im Nachhinein bedaure ich es allerdings, dass ich damals so wenig von der Natur und dem täglichen Leben der Bewohner dokumentieren durfte – es wären zum Teil historisch einmalige Aufnahmen gewesen. Nur in Afghanistan und Zentralasien war beim IKRK das Fotografieren erlaubt, und so habe ich aus diesen Ländern viele, mich persönlich immer noch berührende und auch historisch interessante Aufnahmen mit nach Hause genommen.

Weil es mir unterdessen zu einer Gewohnheit geworden war, und weil technischer Fortschritt das Tragen von grossen Fotoapparaten unnötig machte, habe ich bei Gelegenheit auch nach meiner Rückkehr in die Schweiz fotografiert, einerseits daheim in der Wohnung (Bilder von Freunden und Gästen)) und andrerseits während meiner Spaziergänge und Ausflüge in den Bergen. Auch hier handelt es sich nur um auf Papier gebrachte Erinnerungen; die Schönheit der Bilder hat weniger mit mir als dem Fotografen als mit der herrlichen Natur in der Landschaft Davos zu tun.

Die Fotografien von Landschaften und Besuchern sind in über neunzig Alben aufbewahrt; die meisten Besucher können sich aber auch in den Collagen auf der Toilette in der dritten Etage des Hauses wiederfinden.

(Das Copyright für die auf dieser Homepage gezeigten Fotografien bleibt bei mir und Prof. Beckry Abdel Magid von der Winona State University in Minnesota/USA. Für Forschungen, Schulen oder andere nicht-kommerzielle Zwecke stellt das Völkerkundemuseum der Universität Zürich Kopien der Aufnahmen zur Verfügung).

Auch die drei Toiletten im Haus, die sich natürlich ausserhalb der Wohnung im Treppenhaus befinden, sind für die Besucher interessant: während die unterste Toilette mit ihrer bemalten Porzellanschüssel, Bildern und Skizzen von den letzten Jahren des 19ten Jahrhunderts (den Anfängen des Kurortes Davos) und der Arbeit meines Grossvaters zeugt, lebt die mittlere Toilette von vielen Postkarten mit ganz unterschiedlichen Sujets.

Die dritte, zwischen dem zweiten und dritten Stock gelegene Toilette ist in vieler Hinsicht einzigartig: sie ist klein und eng, aber gleichzeitig angefüllt mit Fotos von Besuchern, Künstlern und Zeitungsausschnitten. Diese Collagen ganz verschiedener menschlicher Gesichter wurden inhaltlich bereichert durch eine grosse Anzahl von Zitaten, aus Zeitungen oder Gedichtbüchern, die Tiefe und Sinn in die Ansammlung von Menschengesichtern bringen.

Zu der Entstehungsgeschichte dieser viel bestaunten Toilette habe ich eine Einführung geschrieben:

Eine alte, aus dem Jahre 1968 (der Zeit der sogenannten Globus-Krawalle in Zürich) stammende Collage findet sich überdies im Gastzimmer; im Gegensatz zur Toilette sind hier die Texte rebellischer Essenz, härter und aggressiver, -ganz entsprechend meinem jugendlichen Alter als Student in Zürich

Die Collagen in der Toilette, wo alle Wände, die Decke, der Fussboden, die Türe und die kleine Fensternische mit Fotos bedeckt sind, bestehen hauptsächlich aus Bildern von Besuchern der Toilette, von Verwandten und Freundinnen und Freunden, die hier für immer gegenwärtig bleiben, – ob sie nun bereits verstorben oder nur an ihre Wohnorte zurückgekehrt sind. All diese Menschen haben das Haus mit Leben gefüllt und meinem eigenen Dasein einen Sinn gegeben; ohne sie wären meine Bemühungen um eine schöne Gestaltung der Lebensräume nutzlos gewesen. Letztlich waren es meine Gäste, nicht Bilder, Bücher und Gegenstände, die das Wesen des Hauses gestalteten und mit ihrem Geist anfüllten, es bereicherten und verzauberten. «Ein Gast ist ein Engel, den Gott Dir geschickt hat» – dieses arabische Sprichwort hat sich in meinen Wohnstätten und Gärten immer wieder neu bewahrheitet. Meine Besucher haben bleibende Spuren hinterlassen, nicht nur der Erinnerung und in Bildern, sondern auch in meinem Herzen und in meinem täglichen Leben.

In Davos, aber auch im trockenen Lokichokio in Kenya, in Pochalla im Südsudan oder in Kabul in Afghanistan wurden meine Wohnungen und besonders auch meine Gärten zu Oasen des Friedens, der Ruhe, Erholung und Freundschaft, ob sie nun aus Blumen, Elefantengras, Stauden, Trauben, Steinen oder Kakteen bestanden oder nur von abstrakten Zeichnungen im Sand oder durch magische Skulpturen und Feuerstellen belebt wurden.

Auch die Gestaltung von den Innenräumen menschlichen Bewusstseins, das Schreiben, gehörte zu meinem täglichen «Handwerk» – aber dies ist eine andere Geschichte, erzählt im dritten Teil dieser Homepage (s. «Ein Leben für die Dichtung und Sprache»).

Nachdenken und nächtliches Sinnieren bim Schreiben von Büchern…